Cannabis gegen Krebs: Ein Überblick

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Cannabisarzneimittel (CAM) sind in Deutschland seit 2017 offiziell erlaubt. Ein wichtiges Einsatzgebiet dafür ist die Krebstherapie. Hier gilt es jedoch zu unterscheiden: Die Schmerztherapie oder die Behandlung von z.B. durch Chemotherapie induzierten Übelkeit und Erbrechen ist von der Studienlage gut abgedeckt. Die Anwendung von CAM ist bei diesen Indikationen daher üblich. Ob Cannabis jedoch krebsvorbeugend oder gar krebshemmend wirken kann, ist umstritten. Zwar existieren Studien, die auf Basis von Tier- oder Zellexperimenten Hinweise auf solche möglichen Eigenschaften geben, doch am Menschen selbst ist jenseits einzelner Erfahrungsberichte noch wenig belegt. Einigkeit besteht übergreifend vor allem darüber, dass deutlich mehr qualitativ hochwertige Studien zum Thema nötig sind.

Die schönsten Geschichten schreibt Dronabinol

Am Anfang der Nullerjahre, in einer mittelgroßen Stadt in Ostdeutschland: Ein schwer kranker Patient, ein Wirkstoff, eine rechtliche Grauzone. Der behandelnde Mediziner ist so überzeugt von der Therapie, dass er dafür sogar einen Gerichtsprozess in Kauf nimmt, der über ein Jahrzehnt andauern wird. Dem Patient rettet er damit erst einmal das Leben – und behandelt daher auch andere unbeirrbar mit der Medikation weiter

Was erst einmal klingt wie die Storyline zu einem Spielfilm hat sich vor der Legalisierung von Cannabisarzneimitteln in Deutschland tatsächlich zugetragen. Der Anästhesist Dr. med. Knud Gastmeier hatte einem Patienten mit Zungenkarzinom und dadurch verursachtem lebensbedrohlichem Gewichtsverlust off-label Dronabinol verschrieben. Die cannabisbasierte Medikation half dem Patienten wieder zu essen – und so zu überleben. Trotz des offensichtlichen Behandlungserfolgs forderte die zuständige Krankenkasse Regresszahlungen. Das Sozialgericht Potsdam sprach 2011 – bei gleichzeitiger Anerkennung der appetitanregenden Eigenschaften von Cannabis – von einem „nicht erklärbaren Erfolg im Einzelfall und gab dem Regressanspruch statt.

Erfahrungen zur Verbesserung der Lebensqualität

Zehn Jahre später gilt die Verbesserung der Lebensqualität von Krebspatient:innen und die Linderung vieler Symptome durch Cannabisarzneimittel niemandem mehr als Überraschungserfolg. Bei der Zwischenauswertung der obligatorischen Begleiterhebung des BfArM aus dem Jahr 2021 wurden 1473 Krebspatient:innen mit Dronabinol-Rezept gezählt. Bei 29% davon geht es darum, dem typischen Appetit- und Gewichtsverlust beizukommen . Ferner wird das Therapeutikum bei 46% gegen Schmerzen eingesetzt, bei 15% gegen Übelkeit und Erbrechen.

Allgemein gilt die Evidenz von CAM für von Chemotherapie induzierter Übelkeit und Erbrechen als moderat, aber gesichert.
In einer israelischen prospektiven Studie mit 2970 Teilnehmer:innen von 2015 bis 2017 berichteten außerdem 95.9% der Befragten von einer Linderung ihrer Beschwerden durch die Gabe von Cannabisarzneimitteln: Die Krebsarten reichten von Brust- über Lungen- bis hin zu Darmkrebs. Von einer deutlichen Verbesserung sprachen die Betroffenen im Zusammenhang mit Symptomen wie Schlaflosigkeit, Schmerzen, Schwäche, Schwindel und Appetitverlust. Und nach einer Therapie von 6 Monaten waren die Symptome von etwa 70% der Patient:innen stark gemildert oder sogar ganz verschwunden.

Hilft Cannabis gegen Krebs?

Doch wie ist es um Krebshemmung bestellt, die manche Cannabis nachsagen? Immerhin erkranken daran in Deutschland jedes Jahr etwa eine halbe Million Menschen – und die Standardtherapien reichen bei vielen Patient:innen nicht aus, um die Symptome zu behandeln. 

Ergebnisse aus mehreren präklinischen Studien deuten darauf hin, dass Cannabinoide ein therapeutisches Potenzial bei Krebspatienten haben könnten. Antikanzerogene Wirkungen von Cannabinoiden sind für eine Vielzahl von Tumorarten dokumentiert.

Solche Wirkungen reichen von der Verringerung der Tumorprogression und -proliferation bis hin zur Induktion von Zellapoptose und Stärkung der immunologischen Tumorabwehr. Zusätzlich könnten Cannabinoide potenziell die Tumorzellinvasivität und Metastasenbildung hemmen. Darüber hinaus haben kürzlich durchgeführte präklinische Studien gezeigt, dass Cannabinoide die Wirkung einer Reihe von Chemotherapeutika auf krebsresistente Zellen verstärken können. Eine Studie an Versuchstieren deutet ebenfalls darauf hin, dass Cannabinoide die Strahlensensitivität von Tumoren erhöhen könnten. Diese Ergebnisse zeigen ein vielversprechendes Potenzial für Cannabinoide als Kombination zu aktuellen Krebstherapien wie Chemo- und Strahlentherapie. 

Diese Ergebnisse, obwohl vielversprechend, stammen hauptsächlich aus Zellexperimenten und Tierversuchen. Ob sie auch für den Menschen gelten, muss noch in klinischen Studien nachgewiesen werden.

Forderung der Fachwelt: Mehr Studien

Die Darreichungsformen von Cannabisarzneimitteln in der Krebstherapie variieren grundsätzlich von Blüten über Extrakte bis hin zu reinen Cannabinoiden – mit ganz verschiedenen Konzentrationen der Cannabinoide THC und CBD. 

Eric Cloutier, Head of Medical Science der Vayamed GmbH fasst zusammen:

“Obwohl die Ergebnisse von präklinischen Studien vielversprechend erscheinen, kann derzeit keine eindeutige Empfehlung zu ihrer Wirksamkeit und Sicherheit in der Krebstherapie gegeben werden. Das Wissen über die wirksame Dosierung zur Hemmung der Tumorprogression und über mögliche Wechselwirkungen mit Standard-Krebstherapien ist noch unzureichend. Auch aus diesen Gründen sind weitere klinische Studien mit Cannabinoiden notwendig, um ihre Rolle in der Krebstherapie besser einschätzen zu können.”

Ein weiterer zu berücksichtigender Punkt sei hierbei auch die Frage nach der Therapieform. Denn während CAM bei Chemotherapien unbedenklich scheinen, kann dies bei einer Immuntherapie schon ganz anders aussehen: Aufgrund der möglichen immunsuppressiven Eigenschaften von Cannabinoiden könnte eine Verringerung des Therapieerfolgs möglich werden. Die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt muss sich also vergewissern, dass im jeweils vorliegenden Fall eine solche Kombination angeraten ist. “In jedem Fall scheint es zwingend, eine deutlich belastbarere Studienlage herbeizuführen, um Potenziale beider Wirkstoffe in der Krebstherapie klar definieren und nutzen zu können”, fordert der Experte.

Fazit:

  • Bei der Cannabis-Krebstherapie ist trennscharf zu unterscheiden zwischen der effektiven Linderung von krebsinduzierten Symptomen und einer tatsächlichen Heilung

  • Cannabisarzneimittel werden von vielen Krebspatient:innen zur Linderung von Schmerzen oder Chemotherapie induzierten Übelkeit und Erbrechen hoch geschätzt

  • In welchem Ausmaß Cannabinoide wie THC und CBD krebsvorbeugende oder sogar tumorreggressive Eigenschaften besitzen, muss noch deutlich besser erforscht werden

 

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