Gender-Medizin: Warum es höchste Zeit für mehr Sensibilität wird
Der weibliche Körper ist ein anderer als der männliche und funktioniert teilweise auch anders – dennoch basiert der Menschentypus, dem sämtliche medizinische und anderweitige wissenschaftliche Beurteilungen der Vergangenheit zugrunde liegen, auf einem weißen 75-Kilogramm-Mann. Bis vor wenigen Jahrzehnten war es Usus, dass Ärzt:innen, Wissenschaftler:innen und sogar die meisten Versuchstiere mehrheitlich männlich waren. Dass Menschen mit biologisch weiblichen Geschlechtsorganen auf verschiedene Krankheiten oder Medikationen völlig anders reagieren als Menschen mit biologisch männlichen Geschlechtsorganen – und somit häufig und teilweise lebensgefährlich fehldiagnostiziert wurden – ist eine Erkenntnis, die sich erst in den vergangenen Jahrzehnten durchgesetzt hat. Hieraus entstand das Fachgebiet der gendersensiblen Medizin. Doch obwohl heutzutage die Hälfte der Ärzteschaft weiblich ist, und die junge Disziplin stark auf dem Vormarsch – in die akademischen Lehrpläne hat sie bisher noch keinen festen Eingang gefunden.
Was ist Endometriose?
Endometriose ist eine von jenen Erkrankungen, die man Jahrzehnte als solche gar nicht erkannt hat, weil Personen mit männlichen Geschlechtsorganen nicht an ihr leiden – und die diversen Beschwerden lange nicht im Zusammenhang, und somit nicht als Krankheitsbild, diagnostiziert wurden. Abgeleitet ist der Name vom Endometrium, der Schleimhaut im Inneren der Gebärmutter. Bei der Endometriose wächst diese Schleimhaut auch außerhalb der Gebärmutterhöhle. Zum Beispiel in den Bereich der Eierstöcke und der Scheide (selten sogar in den Darm, die Harnblase oder Lunge). Und das kann schwerwiegende Konsequenzen haben – von Entzündungsreaktionen im Körper bis hin zur Unfruchtbarkeit.
Typische Symptome können sein:
- Zyklusstörungen
- Regelbeschwerden (z. B. Blähungsgefühle während der Periode)
- Durchgängige oder häufige Unterleibs- und Bauchschmerzen
- Rückenschmerzen
- Ermüdungs- und Erschöpfungszustände
- Schmerzen beim Geschlechtsverkehr
Wie Endometriose entsteht, ist noch nicht abschließend geklärt: Es gibt Theorien, die besagen, dass sie als Folge eines gestörten Zusammenspiels von Hormonen und Immunsystem auftritt. Andere vermuten, dass sich bestimmte Zellen außerhalb der Gebärmutter in Endometrium verwandeln könnten. Auch genetische Aspekte könnten eine Rolle spielen. Fest steht bisher lediglich: Bis zu 15 Prozent der Mädchen und Frauen in Deutschland und mindestens zehn Prozent weltweit sind betroffen. Und bisher gilt die Erkrankung nicht als vollständig heilbar.
„Es ist kein Problem der Frauen, es ist ein Problem der Gesellschaft“
Um dem Thema gerechter zu werden, wurde in den USA 2013 der EndoMarch ins Leben gerufen: Der Verein geht seitdem jeden März in verschiedenen Ländern rund um die Welt auf die Straße – 2021 auch in Deutschland. Darüber hinaus setzt er sich auch vielfältig für die Bewusstmachung der Problematik ein, etwa mit endometriosis awareness kits, Webinaren zum Thema oder einer Plattform für Betroffenen-Geschichten. Und das scheinbar erfolgreich: Im Januar 2022 nahm sich auch der französische Präsident Emmanuel Macron der Angelegenheit an: Mit einem Startschuss für eine nationale Endometriose-Strategie, mit dem er auch gleich eine europäische einforderte. Sein Aktionsplan umfasst u. a. Aufklärungszentren in allen Regionen Frankreichs und die Sensibilisierung des medizinischen Personals. Der eindringliche Appell seiner Videobotschaft lautet: „Es ist kein Problem der Frauen, es ist ein Problem der Gesellschaft.“
Debatte im Bundestag: Besser spät als nie
Im Spätsommer 2022 kam der Stein dann auch im Deutschen Bundestag ins Rollen: Am 23. August stellte die CDU/CSU eine Kleine Anfrage zum Thema, am 5. Oktober 2023 folgte die Partei DIE LINKE. Im Zuge der übergreifenden Diskussion bekannte die Bundesregierung, dass eine nationale Strategie wie in Frankreich noch nicht geplant sei. Immerhin wurde im Laufe der Debatte ein Budget von fünf Millionen Euro jährlich für die gezielte Erforschung der Krankheit versprochen. Außerdem sei vorgesehen, die Gendermedizin ausdrücklich in die Approbationsordnung für Ärzt:innen aufzunehmen. Die CDU/CSU-Fraktion fordert darüber hinaus die Errichtung von Endometriosezentren, wie sie auch Teil der französischen Strategie sind. Auch die Fraktion DIE LINKE fordert eine nationale Endometriose-Strategie sowie die Errichtung eines bundesweiten Endometriose-Registers, in welchem wissenschaftliche Daten zum Krankheitsbild erfasst werden und für die weitere Forschung genutzt werden können. Am 29. März 2023 werden beide Anträge im Rahmen einer öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag mit Expert:innen diskutiert.
Können Cannabisarzneimittel gegen Endometriose helfen?
Das Thema der Medikation wurde im Zuge der Debatte noch nicht breit aufgegriffen.
Bisher gilt die Erkrankung als unheilbar. Ob mit zunehmender Forschungsförderung mögliche Heilungschancen gefunden werden, wird sich zeigen. Bis dahin könnten innovative Cannabisarzneimittel, wie beispielsweise Vaginalzäpfchen auf Basis von Cannabinoiden, eine tragende Rolle in der Linderung vieler Symptome spielen. Laut Online-Umfragen in Australien wurde Cannabis von Endometriose-Patientinnen als am effektivsten beurteilt – über die Hälfte der Patientinnen konnten nach der Einnahme von Cannabisarzneimitteln ihre reguläre Endometriosemedikation um über 50 Prozent reduzieren. Vor allem zur Linderung von Unterleibsschmerzen und zur Verbesserung der Schlafqualität waren die Erfolge durchschlagend: Bei Schmerzen berichteten 81 Prozent von positiven Effekten, beim Schlaf 79 Prozent. Ganze 59 Prozent konnten eine andere Medikation, wie z. B. Analgetika, sogar komplett absetzen.
Fazit
- Endometriose betrifft zehn bis 15 Prozent der Frauen und Mädchen; auch Trans-Männer und nicht-binäre Personen sind betroffen.
- Das Bewusstsein für die Erkrankung wächst.
- Endometriose ist bisher nicht heilbar; doch Cannabisarzneimittel können Linderung der Symptome erwirken.
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