Legalisierung von Genusscannabis: Das Eckpunktepapier

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Die Legalisierung von Genusscannabis in Deutschland zur Abgabe an Erwachsene gilt als eines der Prestigeprojekte der Ampel-Koalition. Weite Teile der Bevölkerung stehen dem Vorhaben positiv gegenüber, doch ein nationaler Alleingang könnte mit bestehenden völker- und europarechtlichen Verträgen kollidieren. Vor diesem Hintergrund hat die Bundesregierung eine ressortübergreifende Expert:innengruppe beauftragt, das Thema eingehend zu untersuchen. Das im Oktober 2022 vorgestellte Eckpunktepapier muss nun von der EU-Kommission sorgfältig geprüft werden. Welche Herausforderungen noch bestehen und wie man sie meistern will – ein Überblick.

Eine kontrollierte Abgabe von Cannabis zu Genusszwecken, das plant die deutsche Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP, um den Kinder- und Jugendschutz zu verbessern, deutlich bessere Präventionsmöglichkeiten zu schaffen und den andernfalls immer weiter wuchernden illegalen Markt einzudämmen. Viele Bürger:innen der Bundesrepublik begrüßten diesen Schritt: Laut einer Statista-Umfrage im Auftrag der Sanity Group sprachen sich zwei Drittel der Befragten für eine Legalisierung aus. Doch ist die Legalisierung von Genusscannabis mit den bestehenden völker- und europarechtlichen Verträgen zu vereinen? Denn diese untersagen, kurz gesagt, eigentlich den Anbau, Handel und Verkauf von Cannabis zu anderen als medizinischen oder wissenschaftlichen Zwecken.

Das Eckpunktepapier: Regulierte Abgabe für den Gesundheitsschutz

Vor diesem Hintergrund berief die Bundesregierung eine Expert:innengruppe ein: Fachleute aus diversen Ressorts – vom Justiz- über das Gesundheits- bis hin zum Landwirtschaftsministerium –  erarbeiteten gemeinsam das Eckpunktepapier, das nun von der EU-Kommission geprüft werden soll. Die Intention dahinter ist, eine valide Einschätzung zu erhalten, ob das Gesetzesvorhaben auf dieser Basis mit europarechtlichen Verträgen vereinbar wäre. 

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) – früher selbst ein Gegner der Legalisierung und seit einiger Zeit dafür – fasste die Argumentationslinie auf der offiziellen Pressekonferenz zur Vorstellung des Eckpunktepapiers Ende Oktober wie folgt zusammen: Das Anliegen der bestehenden Verträge sei ausdrücklich der Gesundheitsschutz der Bevölkerung. Dieser sei gleichermaßen erklärtes Ziel der kontrollierten Legalisierung von Genusscannabis – und aus Sicht der Expert:innenkommission unter Berücksichtigung der vorgestellten Maßnahmen sogar deutlich besser zu gewährleisten, denn der staatliche Regulierungsanspruch sei hoch. Er greife von Lizenzvergaben über Anbau bis Vertrieb – und beinhalte die regelmäßige Kontrolle der gesamten Lieferkette. Präventionsmaßnahmen zum Jugendschutz hätten darin einen festen Platz – und erhielten potenziell über die Cannabissteuer auch die notwendige Finanzierung.

Ziele des Eckpunktepapiers auf einen Blick

  • Bekämpfung von Kriminalität – durch Verdrängung des illegalen Markts

     

  • Bekämpfung von Sucht – durch bessere Prävention und Aufklärungs- und Informationsmaßnahmen

     

  • Bekämpfung von Jugendkonsum – durch Sensibilisierung für die hohen Gefahren des adoleszenten Konsums

     

  • Bekämpfung von Gesundheitsschäden – durch Qualitätskontrolle der Cannabisprodukte und Beratung durch fachkundiges Personal in den Abgabestellen

Die Interpretationslösung: Ein Modell für Europa?

Das Eckpunktepapier beruft sich auf die im UN-Abkommen von 1988 festgehaltene Interpretationserklärung: Der Zweck der rechtlichen Vorgaben sei grundsätzlich mit dem Koalitionsvorhaben vereinbar. Da dieses Abkommen jedoch gemeinsam mit der Europäischen Union unterzeichnet wurde, ist die Zustimmung der weiteren Mitgliedsstaaten zur deutschen Interpretation notwendig. So will Karl Lauterbach das Eckpunktepapier keinesfalls als Gesetzesvorlage missverstanden wissen. Vielmehr handele es sich hierbei um eine Evaluierungsgrundlage, auf Basis derer die EU-Kommission die Rechtskonformität des Unterfangens prüfen möge. Erst bei “grünem Licht” durch die Kommission soll ein entsprechendes Paragraphenwerk ausgearbeitet werden. 


„Wenn dieses Gesetz so käme, wäre dies das liberalste Cannabislegalisierungsprojekt in Europa – auf der anderen Seite wäre es aber auch der am stärksten regulierte Markt mit der klaren Zielsetzung: Entkriminalisierung und besserer Jugend- und Gesundheitsschutz. (…) In vielerlei Hinsicht könnte es ein Modell für Europa sein.“  Karl Lauterbach, 26.10.2022

Die Eckpunkte im Überblick

I. Rechtlicher Rahmen für die Umsetzung des Koalitionsvorhabens:

Das Eckpunktepapier erkennt an, dass der bestehende rechtliche Rahmen begrenzte Optionen bietet, das Koalitionsvorhaben umzusetzen. Infolgedessen plädiert es für eine Interpretationserklärung gegenüber den internationalen Vertragsparteien: Aus Sicht der Bundesregierung trägt die kontrollierte Abgabe dem Zweck jener Vertraglichkeiten – u. a. Verbesserung des Gesundheitsschutzes und der Bekämpfung von Kriminalität – besser Rechnung. Hierzu werden folgende Punkte vorgeschlagen:

  • Cannabis soll grundsätzlich nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Dies betrifft sowohl Nutzhanf, Medizinalcannabis als auch Cannabis zu Genusszwecken (zwischen den drei Varianten soll jedoch eine klare rechtliche Abgrenzung festgesetzt werden).
  • Der erlaubte Gehalt von THC in Nutzhanf soll dem ab Januar 2023 geltenden EU-Recht auf 0,3 Prozent angehoben werden; Sonderregelungen zu CBD werden noch geprüft.
  • Der Besitz von 20 bis 30 Gramm getrockneter Cannabispflanzen soll unabhängig von der (legalen) Kaufquelle oder dem THC-Gehalt erlaubt sein.
  • Der Verkauf von Samen und Setzlingen wird reguliert. Der Eigenanbau von bis zu drei weiblichen Pflanzen pro erwachsener Person soll (ggf. anzeigepflichtig) erlaubt werden; Besitzer:innen verpflichten sich dazu, diese Pflanzen sowie ihre Erträge vor dem Zugriff durch Kinder und Jugendliche zu schützen.
  • Anbau, Erwerb und Besitz sind erst ab 18 Jahren erlaubt – für Minderjährige bleiben sie verboten. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit sollen sie jedoch, außer in eskalierten Ausnahmen, nicht strafrechtlich verfolgt werden.
  • Strafbar bleiben weiterhin der Handel ohne Lizenz sowie der Besitz und Anbau oberhalb der erlaubten Menge.
  • Sollte die Neuregelung in Kraft treten, werden auch laufende Ermittlungs- und Strafverfahren beendet, sowie ggf. Verurteilungen (die ursächlich auf nun legalen Handlungen erfolgt sind) zurückgezogen. Unter welchen Auflagen dies geschehen kann, wird noch geprüft.
  • Die Konsequenzen auf das Straßenverkehrsrecht werden noch geprüft.

II. Abgabevorschriften: 

  • Synthetisch hergestellte Cannabinoide werden nicht zugelassen.
  • Erlaubt sind Darreichungsformen zum Rauchen, Inhalieren oder zur nasalen und oralen Aufnahme (Tropfen, Kapseln, Sprays). Ob Edibles ebenfalls zugelassen werden sollen, soll noch geprüft werden. Im aktuellen Entwurf sind sie nicht vorgesehen.
  • Der Verkauf erfolgt kontrolliert in ausschließlich behördlich zugelassenen Geschäften. Die erlaubte Höchstbesitzmenge darf hierbei nicht überschritten werden und eine Abgabe an Dritte wird ausgeschlossen. Tabak und Alkohol dürfen in der Abgabestelle nicht verkauft werden.
  • Betreiber:innen und Verkäufer:innen der Geschäfte sind verpflichtet, einen Sachkundenachweis sowie spezifische Beratungs- und Präventionskenntnisse zu erbringen oder zu erwerben. Pro Verkaufsstelle wird ein:e Ansprechpartner:in für Jugendschutz ausgewiesen.
  • Qualität und Reinheit der Cannabisprodukte müssen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen.
  • THC- und CBD-Gehalte der Produkte müssen ausgewiesen werden, Angaben zum Hersteller ebenfalls. Die Produkte dürfen nicht mit Tabak oder Nikotin vermischt verkauft werden.
  • Es besteht ein Werbeverbot für Cannabisprodukte (einschließlich werbenden Designs auf der Verpackung).
  • Die Packungsbeilage muss ausdrückliche Hinweise auf Suchtpotenzial sowie gesundheitliche Risiken für Personen unter 25 Jahren enthalten.
  • Bei jedem Verkauf wird ein Beratungsgespräch angeboten, Hinweise auf Beratungs- und Behandlungsstellen müssen dem Produkt beigelegt werden.

III. Kinder- und Jugendschutz: 

  • Cannabiserwerb und -konsum ist erst ab der Volljährigkeit gestattet. Am Eingang der Verkaufsstellen ist eine strikte Alterskontrolle erforderlich – Zuwiderhandlungen werden mit Lizenzverlust geahndet.
  • Mindestabstände von Cannabisfachgeschäften zu Schulen, Kinder- und Jugendeinrichtungen werden verpflichtend erlassen.
  • Der öffentliche Konsum von Cannabis rund um solche Einrichtungen wird nicht gestattet. Das Verbot kann sich auch auf Fußgängerzonen erstrecken.
  • Ob es eine THC-Obergrenze für junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren geben soll, soll noch geprüft werden. Hierbei soll es um den Schutz der jungen Erwachsenen gehen, um Schäden im Gehirn zu vermeiden. Eine THC-Obergrenze ab 21 Jahren ist nicht vorgesehen.
  • Die Teilnahme an Präventionsmaßnahmen für Jugendliche kann unter bestimmten Umständen verpflichtend werden.

IV. Information, Beratung und Prävention:

  • Präventionsangebote werden auch in den Lebenswelten der Jugendlichen (Internet, soziale Medien, Schulen, Jugendeinrichtungen, etc.) massiv ausgebaut und die Teilnahme gefördert.
  • Für bereits konsumierende Jugendliche werden niedrigschwellige Frühinterventionsangebote aufgebaut.

V.Anbau, Vertrieb, Lizenzierung, Kontrolle und Besteuerung: 

  • Aufgrund der internationalen Verträge scheint der grenzübergreifende Handel mit Cannabis zu Genusszwecken derzeit nicht möglich, daher wird im Eckpunktepapier angestrebt, den kompletten Anbau inländisch zu lösen; hier kommen insbesondere ein Indoor-Anbau unter Kunstlicht sowie Anbau in Gewächshäusern in Betracht.
  • Die gesamte Liefer- und Handelskette sowie die Lizenzvergabe unterliegen strikten staatlichen Kontrollen und staatlicher Aufsicht.
  • Lizenzgeber für jeden Schritt innerhalb der Liefer- und Handelskette sind Behörden des Bundes bzw. der Bundesländer.
  • Die Lizenznehmer:innen sind verpflichtet, strikte Auflagen zu erfüllen (z. B. Straffreiheit in mindestens fünf Jahren vor Beantragung der Lizenz). Der Lizenzgeber hat das Recht, die Einhaltung der Auflagen zu kontrollieren. Lizenzen können bei Nichteinhaltung entzogen sowie die Verlängerung verweigert werden.
  • Der Vertrieb von fertigen Cannabisprodukten erfolgt ausschließlich in lizenzierten Fachgeschäften – ob in diesen Abgabestellen eine Möglichkeit zum Konsum eingeräumt werden oder Apotheken in die Handelskette mit eingeschlossen werden sollen, wird noch geprüft.
  • Ob auch ein Versandhandel durch behördlich zugelassene Geschäfte erlaubt werden soll, wird im Rahmen der Gesetzesevaluierung noch geprüft; Aspekten des Jugendschutzes aber auch der Bekämpfung des illegalen Markts muss hier Rechnung getragen werden

VI.Evaluation:

  • Sämtliche gesellschaftliche Auswirkungen des potenziellen Gesetzes sollen nach vier Jahren evaluiert werden.

Legalisierung frühestens ab 2024

Finn Hänsel, CEO des Cannabisunternehmens Sanity Group, zeigt sich erfreut über einige Ansätze des Eckpunktepapiers: „Der Bundesregierung und der Expert:innenkommission ist es ein erkennbares Anliegen, größte Rücksicht auf bestehende internationale Verträge und den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zu nehmen. Dass die Koalition das Thema so verantwortungsbewusst und rechtskonform lösen möchte, halten wir grundsätzlich für die absolut richtige Strategie.“
Gleichwohl ergäben sich aus manchen Punkten dennoch Herausforderungen: Etwa beim generellen Werbeverbot sei zu bedenken, dass Produktinformationen Konsument:innen vor allem auch Orientierung böten, um „bessere Kaufentscheidungen treffen“ zu können. 

Auch scheine es schon aufgrund des schieren Marktvolumens sehr ambitioniert, den gesamten Bedarf allein im Inland produzieren zu wollen. 

Der Gesundheitsminister rechnet bei positiver Rückmeldung durch die EU-Kommission mit einer Legalisierung frühestens ab 2024. Drängeln wolle man angesichts der wichtigen globalen Probleme im Moment sowieso nicht.

Fazit:

  • Das Eckpunktepapier ist kein Gesetzesentwurf, sondern dient als Evaluierungsgrundlage. Die Expert:innenkommission der Bundesregierung argumentiert u. a., dass der EU-rechtlich angestrebte Gesundheitsschutz durch eine Legalisierung besser umgesetzt werden kann. Die EU-Kommission wird prüfen, ob eine Legalisierung auf dieser Basis rechtlich tragfähig wäre – erst dann wird ein deutscher Gesetzesentwurf ausgearbeitet.

  • Nach der Neuregelung wären u. a. der Besitz von 20 bis 30 Gramm erlaubt und Cannabis könnte in staatlich kontrollierten Abgabestellen erworben werden. Strikte Kontrollen der gesamten Handels- und Lieferkette von Lizenzvergabe bis Prävention sind dafür Voraussetzung.

  • Verschiedene Punkte sollen noch evaluiert werden, wie z. B. eine THC-Obergrenze für junge Erwachsene zwischen 18 und 21 Jahren, die Möglichkeit eines Versandhandels oder der Verkauf von Edibles.

  • Im Erfolgsfall wäre frühestens ab 2024 mit der Legalisierung zu rechnen.

Verwendetes Beitragsbild: Shutterstock / DesignRage