Welche Rolle spielt das Endocannabinoidsystem für die Gesundheit?

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In den 1990er-Jahren entdeckte der Hochschulprofessor Raphael Mechoulam das Endocannabinoidsystem: Ein körpereigenes System von Cannabinoid-Rezeptoren und Liganden, das sowohl Menschen als auch viele Tiere besitzen. Es beeinflusst zahlreiche Aktivitäten des Körpers – von der Gedächtnisaktivität bis hin zur Fortpflanzung.

Als der israelische Chemiker Raphael Mechoulam in den 1990er-Jahren die Endocannabinoidrezeptoren und das körpereigene System darum herum entdeckte, glich das einem Paukenschlag: Dass der Mensch selbst Cannabinoide produziert, schien eine Sensation. Doch die tragende Rolle, die das Endocannabinoidsystem (kurz: ECS) in zahlreichen immunologischen Prozessen, beim Lernen, dem Schmerzempfinden und sogar bei der Fortpflanzung spielt, kam erst Stück für Stück über die Jahre zum Vorschein – und trägt dazu bei, die seit Jahrtausenden überlieferte therapeutische Wirkung von Cannabis besser zu verstehen. Auch wenn man heute vor allem weiß, dass man noch lange nicht genug weiß – ein Ausblick ist allemal spannend.

Was sind Cannabinoid-Rezeptoren?

Cannabinoid-Rezeptoren sind Rezeptoren für jene Cannabinoide, die der menschliche Körper selbst erzeugt. Aber auch Phytocannabinoide, die etwa eine Pflanze generiert, oder synthetische Cannabinoide, die im Labor hergestellt werden können, docken hier an. Gemeinsam mit den Endocannabinoiden und Enzymen, die sowohl Synthese als auch den Abbau von Endocannabinoiden generieren können, bilden diese Rezeptoren das  Endocannabinoidsystem. Es verfügt über Rezeptoren in verschiedenen Organen vom Gehirn bis zum Darm und ist an zahlreichen wichtigen Prozessen des menschlichen Körpers beteiligt: So zum Beispiel an der Schmerzwahrnehmung, der neuronalen Kommunikation, der Motorik, der Regulation der Nahrungszufuhr oder an immunologischen Prozessen. Daraus resultiert auch die therapeutische Funktion von Cannabis.

Die wichtigsten Rezeptoren: CB1 und CB2

Die bisher am besten untersuchten Rezeptoren sind der Cannabinoidrezeptor 1 (abgekürzt: CB1, entdeckt im Jahr 1990), und Cannabinoidrezeptor 2 (abgekürzt: CB2, entdeckt im Jahr 1993). Beide sind aus der Klasse der G-Proteine gekoppelte Rezeptoren, die vornehmlich auf der Zellmembran von Nervenzellen vorkommen. Der Unterschied zwischen ihnen besteht zum einen in der Aminosäuresequenz, zum anderen in der Verortung innerhalb des Körpers: Während CB1-Rezeptoren ihren Hauptsitz in Lunge, Fortpflanzungsorganen, dem vaskulären System, Gehirn, Fettgewebe und den Muskeln haben, findet man CB2-Rezeptoren verstärkt im Verdauungstrakt, Immunsystem und in der Milz. Grundsätzlich sind beide Rezeptoren überall im Körper zu finden. Weitere mittlerweile bekannte Andockstationen des ECS sind z. B. die stoffwechselaktiven Rezeptoren GPR55, GPR119 und GPR18, über diese ist jedoch noch deutlich weniger bekannt.

Bild Rezeptoren Endocannabinoidsystem

CB1 und CB2 auf einen Blick:

CB1:

  • Entdeckung 1990
  • besteht aus 472 Aminosäuren
  • Einfluss auf Motorik, Lernen, Empfinden von Schmerz und Freude, neuronale Kommunikation, Steuerung der Nahrungsaufnahme
  • Rezeptoren befinden sich vor allem im Zentralen Nervensystem (ZNS)

CB2:

  • Entdeckung 1993
  • besteht aus 360 Aminosäuren
  • Einfluss auf Kognition und Immunsystem
  • Rezeptoren befinden sich vor allem im Magen-Darm-Trakt & in Immunzellen

Die wichtigsten Endocannabinoide: Anandamnid und 2-Arachidonoglycerol

Als wichtigste Endocannabinoide gelten bisher Anandamid (Arachidonylethanolamid) und 2-Arachidonoglycerol (2-AG). Der Name Anandamid ist abgeleitet von Ananda, das altindische Wort für „Freude“. Denn das Endocannabinoid ist der natürliche Ligand des CB1-Rezeptors, der u. a. eine Rolle in der Empfindung von Euphorie spielt. Es tritt vor allem im Zentralen Nervensystem auf. 

Das Endocannabinoid 2-Arachidonoglycerol (2-AG) findet man vor allem im Gehirn. Es aktiviert die wenigen dort vorhandenen CB2-Rezeptoren und kann beruhigend wirken. Ob CB2 auch auch eine Schlüsselrolle in der Alzheimer-Therapie spielen kann, wird derzeit noch untersucht.

Beide Rezeptoren können nicht nur aktiviert, sondern auch mit sogenannten „Antagonisten“ gezielt blockiert werden, um bestimmte Funktionsweisen zu unterstützen.
Ist die Endocannabinoidproduktion grundsätzlich im Ungleichgewicht oder dysfunktional, kann dies zu Beschwerden und diversen Erkrankungen führen.

Die bekanntesten exogenen Cannabinoide: THC und CBD

Als die bekanntesten extern zuführbaren Cannabinoide gelten Tedrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD). THC entfaltet seine (auch psychotropen) Eigenschaften vor allem über den CB1-Rezeptor. Bei CBD, das selbst keinerlei berauschende Wirkung aufweist, ist die Sache etwas komplexer: Genau ist der Mechanismus nicht bekannt, doch das Cannabinoid scheint zu partiell mit den Rezeptoren zu interagieren, um eine direkte Wirkung zu erzielen. Jedoch werden andere Rezeptoren und Enyzme moduliert – und es ist in der Lage, derart auf den Modulation CB1-Rezeptor einzuwirken, dass die psychischen Effekte von THC wiederum geschwächt werden.

Beide Cannabinoide können potenziell die Funktionen der körpereigenen Botenstoffe übernehmen. Daher rührt ein Teil ihrer potenziell medizinisch interessanten Wirkung:
THC kann beispielsweise auf Neurotransmitter-Ebene die Signale von Schmerzen unterdrücken und so zu einer real reduzierten Schmerzwahrnehmung beitragen. CBD hingegen kann, so legen Studien nahe, u. a. entzündungshemmend und entkrampfend wirken, angstlösende Effekte werden derzeit untersucht.

Fazit

Grundsätzlich bleibt anzumerken, dass das Endocannabinoidsystem in seiner Funktionsweise bisher nur in Ansätzen untersucht ist. Verschiedene Themen haben im Lauf der vergangenen Jahre jedoch das wissenschaftliche Interesse erregt: Die Rolle, die CB2-Rezeptoren z. B. bei der Therapie von Alzheimer oder in anderen kognitiven Zusammenhängen spielen könnten, aber auch die Wirkung des ECS auf die Fortpflanzung gehören zu den vielen Fragen, die aktuell noch erörtert werden. 

FAQ

Welche Cannabinoide gibt es?
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Phytocannabinoiden, Endocannabinoiden und synthetischen Cannabinoiden. Phytocannabinoide sind solche, die in Pflanzen vorkommen, wie z. B. THC und CBD in der Hanfpflanze. Endocannabinoide sind Cannabinoide, die der Körper selbst produziert, wie z. B. Anandamid. Synthetische Cannabinoide sind jene, die im Labor hergestellt werden.

Wie wirken Cannabinoide?
Cannabinoide wirken ganz unterschiedlich: je nachdem, welche Beschaffenheit sie selbst haben und an welchen Rezeptor sie andocken. THC hat z. B. eine grundsätzlich psychotrope Wirkung, CBD gilt dagegen als potenziell krampflösend.

Welchen Effekt haben Cannabinoide auf das Endocannabinoidsystem?
Grundsätzlich interagieren Cannabinoide mit dem Endocannabinoidsystem, indem sie an verschiedene Rezeptoren andocken. Was diese Interaktion genau bewirkt, hängt, vereinfacht gesagt, jeweils davon ab, um welches Cannabinoid und welchen Rezeptor es sich handelt.

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