Während in Bern und Basel die ersten Pilotprojekte zur Legalisierung von Genusscannabis anlaufen, macht sich Gesundheitsminister Karl Lauterbach für die Legalisierung von Cannabis in Deutschland stark. Wer den SPD-Politiker kennt, weiß: So war das nicht immer. Doch nun spricht er als Arzt und verantwortlicher Gesundheitsminister der Ampel-Koalition. Und gesundheitliche Gefahren von Cannabis-Konsum hängen nachweislich eng mit skrupellosen Geschäftsmethoden illegaler Händler:innen zusammen. Ob es sich dabei um Verunreinigungen wie beigefügten Scherben oder den Versatz mit härteren Drogen handelt – jedem dieser Probleme ist nur mit sehr strenger Qualitätskontrolle beizukommen. Die allerdings kann erst stattfinden, wenn der Handel mit Cannabis auch erlaubt ist. Dass so langfristig dem Schwarzmarkt der Boden entzogen wird, scheint auf der Hand zu liegen. Doch um hier nachhaltige Erfolge zu verzeichnen, sind verschiedene Faktoren zu beachten.
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Steigender Konsum durch Legalisierung?
Eine der größten Befürchtungen der Legalisierungsskeptiker:innen ist ein insgesamt steigender Konsum – vor allem bei Minderjährigen oder jungen Erwachsenen. Doch die bisherige Datenlage erlaubt solche pauschalen Rückschlüsse nicht. Ein übergreifender Vergleich von 38 Ländern kommt zu dem Schluss, dass ein solcher Zusammenhang zwischen Legalisierung und Konsumverhalten bei Jugendlichen nicht besteht. Von einem „Mythos“ spricht gar Professor und Gesundheitsforscher David Hammond der University of Waterloo in Ontario. Er vermutet hinter dem an manchen Orten scheinbar steigenden Konsument:innen-Zahlen einen Mechanismus, wie ihn auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages in seiner Auswertung erwähnt: Mehr als auf ihr tatsächliches Konsumverhalten könnte sich die Legalisierung auf das Antwortverhalten der Befragten auswirken. Salopp formuliert: Was legal ist, muss nicht länger verschwiegen werden.
Viele Expert:innen aus Medizin, Justiz und Kriminologie halten die bisherige restriktive Drogenpolitik für gescheitert: Weder bei der Prävention noch beim Verbrauch stelle sich wirklich Erfolg ein. Stattdessen steigen die Zahlen gerade der jugendlichen Konsument:innen seit Jahren konstant. Dass diese bisher ausschließlich vom Schwarzmarkt bedient werden, stellt ein ernstes Problem dar: Denn die Liste an Beimischungen verunreinigender und gefährlicher Substanzen ist lang. Sie reicht von Blei, Glas oder Haarspray über synthetische Cannabinoide bis hin zu möglichen härteren Drogen. So ist Jugendschutz auch eines der Hauptargumente für die Legalisierungsbestrebungen in der Schweiz.
Lernen von den Daten anderer Länder
Tatsächlich deuten Daten aus Kanada und den USA darauf hin, dass die Legalisierung den Schwarzmarkt sukzessive zurückdrängt. Grundsätzlich verschwunden ist er bisher in keinem der beiden Länder. Legalisierungsskeptiker:innen werten das als Beleg, dass man kriminellem Handel durch freien Verkauf nicht beikommen kann – auch in den Niederlanden sei dies bis heute nicht geschehen. Allerdings kann man diese drei Länder mitnichten über einen Kamm scheren. Denn sowohl die untersuchte Zeitspanne als auch die Legalisierungsmodelle unterscheiden sich stark voneinander.
In den Niederlanden lohnt sich ein genauerer Blick auf die Gesetzeslage, bevor man voreilige Schlüsse zieht: Zwar ist der Konsum von Cannabis seit 1976 für Volljährige gestattet und der Besitz von bis zu fünf Gramm legal. Doch wie die weltweit legendären Coffeeshops eigentlich zu ihrer Ware gelangen, steht auf einem ganz anderen Blatt: Weder Anbau noch Einkauf großer Mengen sind erlaubt. Diese rechtliche Grauzone wurde von einem illegalen Lieferant:innen-Netz besetzt. In anderen Worten: Nicht die Legalisierung von Cannabis, sondern gerade die Nicht-Legalisierung von Anbau und Einkauf haben dem Schwarzmarkt in den Niederlanden den Boden bereitet – und halten ihn bis heute am Leben. Niederländische Kriminolog:innen geben Deutschland daher eine klare Handlungsempfehlung: Legalisierung ja, aber mit Köpfchen! Wenn Drogenbaronen das Handwerk gelegt werden soll, müssen auch Anbau und Einkauf erlaubt sein.
Kostenpunkt: Welche Rolle spielt der Preis?
Eine ganz andere Situation präsentiert sich in den USA und Kanada. In Kanada ist Genusscannabis erst seit Ende 2018 legal. Schon 2020 überholt der legale den illegalen Handel – und im vierten Quartal 2021 bildete er bereits das doppelte Marktvolumen ab. Als ein Hauptfaktor dafür, dass herkömmlicher Handel sich parallel dennoch weiter halten kann, gilt die Kostenstruktur: Die Preisgefälle zwischen lizensiertem und nicht-lizensiertem Cannabis liegen bei 40 bis 50 Prozent. Dennoch: Die Tendenz auf der Zeitachse geht klar zulasten der Schwarzmärkte. Wer sich Qualität holen kann, kauft sie langfristig auch. Gesundheitsforscher David Hammond verweist hier auf den US-Staat Colorado, in dem nach sieben Jahren 90 Prozent der Konsument:innen legale Ware bevorzugten. Wichtig auch bei einer Legalisierung in Deutschland wäre also, dass der Preis für legales Cannabis nicht deutlich höher liegt als für Cannabis auf dem Schwarzmarkt – ansonsten verpufft der Effekt.
Die Tendenz auf der Zeitachse geht klar zulasten der Schwarzmärkte. Wer sich Qualität holen kann, kauft sie langfristig auch.
In den USA sind Preisfaktoren ein Haupttreiber für das Weiterbestehen von Schwarzmärkten – und hier nochmal in ganz anderer Form: Allein die Antragsgebühren für eine kommerzielle Anbau-Lizenz können in die Hunderttausende Dollar gehen. Und die Zulassung muss jährlich kostenpflichtig erneuert werden. Um ihr Geschäft zu legalisieren, müssen Cannabis-Züchter:innen außerdem einen bis ins Detail ausgearbeiteten Business-Plan vorlegen, dessen Erstellung allein professionelle Beratung für hohe Summen erfordert. Eine moderate Preis- und Besteuerungspolitik könnte hier präventiv wirken.
Jede erfolgreiche Produkteinführung erfordert die Berücksichtigung der gegebenen Infrastruktur: Hier befinden sich relevante Stellschrauben zum Austrocknen der illegalen Märkte. In Kanada etwa vollzog sich der Roll-Out legaler Cannabis-Produkte nur Stück für Stück – heißt: nicht überall war lizensiertes Cannabis überhaupt verfügbar. Ähnlich wie in den weitläufigen USA verwundert es nicht, dass Konsument:innen unter diesen Umständen eher bei ihren altbekannten Händler:innen um die Ecke kaufen, als stundenlang in die nächste Großstadt zu tingeln.
Thema Eigenanbau von Cannabis
Um den illegalen Markt weiter auszutrocknen, muss auch der Eigenanbau von Cannabis diskutiert werden. Denn wer selbst anbauen darf, muss sich nicht bei illegalen Quellen bedienen. Aktuell steht der Anbau von Cannabis hierzulande (noch) unter Strafe. Vor allem in ländlichen Regionen könnte die Versorgung durch legale Fachgeschäfte alleine nicht gedeckt sein.
Dass der Eigenanbau keine unwichtige Rolle spielt, zeigt ein Blick nach Kanada: Dort bezogen nach Angaben der repräsentativen “Canadian Cannabis Survey 2021” rund acht Prozent der Befragten in 2021 ihr Cannabis aus Eigenanbau, weitere sieben Prozent von Freunden. Knapp Zweidrittel der Befragten (64 Prozent) gaben an, ihr Cannabis aus Fachgeschäften und legalen Online-Quellen zu beziehen. Lediglich sechs Prozent bezogen ihr Cannabis nach wie vor auf dem Schwarzmarkt von Dealern oder anderen illegalen Quellen.
Im Zuge der Debatte um den Eigenanbau wird auch über die Einführung sogenannter Cannabis Social Clubs (kurz: CSC) diskutiert: “Ein Cannabis Social Club dient der Versorgung seiner Mitglieder mit hochqualitativen Cannabisprodukten aus eigenem Anbau. So wird der Schwarzmarkt ausgeschlossen und die Qualität für den Endverbraucher kann gesichert werden. Neben der Qualität spielt auch der Preis dabei eine Rolle: Da der CSC keinen Gewinn macht, fallen nur geringe Kosten für Produktion und Vertrieb des Cannabis an, die Mitglieder werden also vergleichsweise kostengünstig versorgt. Für den Staat hätte das System ebenfalls viele Vorteile: Neben der Bekämpfung des Schwarzmarkts für Cannabisprodukte wäre so auch ein Verkauf und Konsum jenseits der Öffentlichkeit möglich. Die Clubs dürfen keine Werbung machen. Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene würden Cannabis nicht ungewollt zu Gesicht bekommen, alles spielt sich in geschlossenen Räumen ab”, fasst der Deutsche Hanfverband auf seiner Seite zusammen.
In Spanien gibt es das Modell der Cannabis Social Clubs bereits; dort existieren Hunderte der Clubs: Die sogenannte “Doktrin des geteilten Konsums” schafft die Rahmenbedingungen, nach denen die CSCs toleriert werden, obwohl Cannabis auch in Spanien noch nicht legalisiert ist. Wird die Doktrin seitens der Clubs eingehalten, wird der geteilte Cannabis-Anbau und -Konsum nicht strafrechtlich verfolgt. Seit Herbst 2021 gilt für die spanischen CSCs, dass nur noch Gewohnheitskonsument:innen oder Süchtige Mitglieder der Clubs werden können; die Menge des täglichen Konsums wurde auf eine geringere Menge limitiert.
Die Daten aus anderen Ländern legen nahe, dass der Schwarzmarkt durch eine Legalisierung sukzessive verdrängt werden kann – wenn Faktoren wie Preispolitik, Infrastruktur und vor allem Rechtssicherheit für Anbau und Vertrieb berücksichtigt werden.
Die Legalisierung von Cannabis wäre dennoch ein großes gesellschaftliches Projekt, das viele Bereiche mit einschließt. Die Daten aus anderen Ländern legen nahe, dass der Schwarzmarkt durch eine Legalisierung sukzessive verdrängt werden kann – wenn Faktoren wie Preispolitik, Infrastruktur und vor allem Rechtssicherheit für Anbau und Vertrieb berücksichtigt werden.
Fazit: Deutschland muss von anderen lernen
Deutschland hat die Chance, vieles auf Anhieb richtig zu machen – wenn es bereit ist, von den Pionierländern zu lernen. Doch weiß jede:r Change Manager:in: Auch der erfolgreichste Wandel braucht seine Zeit. Und Transformationen für Millionen von Menschen muss man geduldiger begleiten als die Einführung einer neuen Buchhaltungssoftware im mittelständischen Unternehmen. Nach zwei bis drei Jahren darüber urteilen zu wollen, ob Legalisierungsinitiativen den illegalen Markt zu 100 Prozent verdrängen konnten, ist schlicht zu früh. Mit Blick auf die gesamtgesellschaftlichen Vorteile lohnt die Mühe allemal: Die Ausmerzung des illegalen Cannabis-Handels verspricht Steuereinnahmen, zusätzliche Arbeitsplätze, eine sinkende Kriminalität und nicht zuletzt besseren Jugend- und Gesundheitsschutz – wenn es richtig gemacht wird.
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