Durchbruch für den Nutzhanfsektor: EU-Kommission beschließt verbindliche THC-Grenzwerte in Lebensmitteln

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Einheitliche THC-Grenzwerte in Lebensmitteln sollen den Handel mit hanfbasierten Lebensmitteln erleichtern und Investitionen in das Wachstumssegment vorantreiben. Die Richtlinien wurden im März 2022 beschlossen und gelten ab 20 Tagen nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt. Interessenverbände feiern einen Etappensieg. Einziger Wermutstropfen: Die neue Regelung geht auf Messunsicherheiten nicht gesondert ein.

Hochwertige Proteine, ungesättigte Fettsäuren, eine Fülle an Mineralien und Vitaminen: Hanf gilt Ernährungsbewussten längst als echtes Superfood. Die mit älteste Nutzpflanze der Weltgeschichte wird in China schon seit über 10 000 Jahren kultiviert. In Deutschland hingegen ist der Anbau erst seit 1996 wieder erlaubt – und das auch nur dann, wenn der psychotrope Tetrahydrocannabinol-Gehalt (THC) unter 0,2 Prozent liegt. Ein eher stiefmütterliches Verhältnis zur Cannabis-Pflanze bildete sich bis vor Kurzem auch in so mancher EU-Regelung ab – vielmehr: in so mancher Nicht-Regelung. 

Bisherige Wettbewerbsnachteile durch europäischen Flickenteppich

Denn trotz der stark wachsenden Nachfrage nach Hanfsamen, -mehl oder -milch gab es bis März 2022 keine europaweit gültige Norm für die als unbedenklich geltenden THC-Werte. Viele Länder hatten gar keine festen Richtlinien, andere lehnten sich an die deutsche Norm von maximal 5 mg/kg für Hanföl an. Beim Schweizer Nachbarn war durchgängig gleich das Vierfache davon zulässig und in Kanada immerhin 10mg/kg. 

Für produzierende Unternehmen in Europa ein unhaltbarer Zustand: Vom plötzlich erzwungenen Rückruf der Ware bis hin zum Abwandern von Investitionen an die Konkurrenz in Übersee führt er zu zahllosen Komplikationen. Dies auf einem Markt, dessen Volumen sich allein von 2017 auf 2019 mehr als verdreifacht hat und der nach wie vor im Wachstum begriffen ist. Der Ruf nach besseren Bedingungen ließ daher nicht lang auf sich warten. 

Wandel durch Wissenschaft: EIHA kämpft für evidenzbasierte THC-Grenzwerte

In fachkundiger Voraussicht kümmert sich die European Industrial Hemp Association (EIHA) daher schon seit Jahren um eine Verbesserung der Situation. Eine ausführliche Untersuchung der jüngeren Evidenz veranlasste die EIHA seit 2015 zur Forderung von 10 mg/kg – sowohl für Öle, als auch für trockene Nahrungsmittel wie Samen, Mehle oder Eiweißpulver. 

Der Ständige Ausschuss für Lebensmittel stimmte der Änderung der Regulierung No 1881/2006 nun zu. Doch bleiben die Ergebnisse leicht hinter den Erwartungen der EIHA zurück: Der festgesetzte Wert von Delta-9-THC für Öl wurde stattdessen bei 7,5 mg/kg angesetzt. Für Samen, Mehle, Proteinpulver etc. liegt er nun bei 3,0 mg/kg.

„Der Schritt ist schon lang überfällig. Und gerade angesichts akut drohender Lebensmittelknappheit wirklich in seiner Relevanz nicht zu unterschätzen: Hanfprodukte sind sehr vielseitig und weit mehr als nur ein Lifestyle-Food. Sie können dazu beitragen, potentielle Versorgungslücken schließen zu helfen. In Backwaren kann Weizenmehl beispielsweise bis zu zehn Prozent durch Hanfmehl ersetzt werden. Ganz pragmatisch gedacht, könnte man potentielle Ausfälle von Weizenimporten also mit Cannabismehlen kompensieren. In der aktuellen Lage ist die neue EU-Regelung daher nicht nur für dezidierte Interessenverbände wichtig, sondern für die gesamte Lebensmittelwirtschaft“, erläutert Finn Hänsel, CEO der Sanity Group.

Messunsicherheit: Chance und Ärgernis zugleich

Ein Wermutstropfen bleibt: Die EU-Kommission hat der Bitte um offizielle Richtlinien zur Festsetzung der Unsicherheitswerte nicht stattgegeben. Besagte Messunsicherheit kann sich bei Laboruntersuchungen zwischen 40 und 50 Prozent bewegen. Diese müssen angegeben und zu den offiziellen Grenzwerten addiert werden. 
Einerseits entsteht so ein Spielraum, aus dem sich effektiv höhere Werte von 4,2 bis 4,5 mg/kg für trockene Produkte und von 10,50 bis 11,25 mg/kg für Öl ergeben. Ein Nahrungsmittel wäre also nur dann nicht richtlinienkonform, wenn es eindeutig über dem Grenzgehalt plus der jeweils veranschlagten Messunsicherheit läge.
Andererseits befürchten Sprecher der EIHA, dass das Fehlen einer einheitlichen und offiziellen Regelung an der Stelle zu neuerlicher Unklarheit auf den Märkten führt: Lebensmittelhersteller müssten sich so weiterhin gegenüber Behörden regelmäßig erklären. 
Die neuen Regeln gelten ab 20 Tagen nach der Veröffentlichung im EU-Amtsblatt und sind bindend für die EU-Mitgliedsstaaten. Restbestände können jedoch noch abverkauft werden.

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